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Meuterei in den Hochschulen
Eine Spontanbesetzung an der Berliner FU, davor bestreikten Studierende fünf Wochen ihr Institut an der Humboldt-Uni – und stehen damit für eine neue Form von Protest. Was die Initiativen eint: Studis, Wissenschaftler und Verwaltungsmitarbeiter verbünden sich. Damit der Protest bleibt.
Ein großes Plakat ist mit schwarzem Klebeband an der Deckenlampe befestigt. Darauf ein gezeichnetes Haus, in dem Menschen auf Rollbändern von einer Etage zur anderen transportiert werden. „Lernfabrik“ steht in Gelb oben auf dem Poster. Das Photo davon hat der Nutzer @fubesetzt getwittert: „Wir haben es uns vor dem Hörsaal 1a gemütlich gemacht. Kommt vorbei! #FUbesetzt”.
Auch wenn die Besetzung letztlich erst einmal symbolisch blieb – spätabends hatte die FU die Polizei gerufen, die etwa 70 Studis entschieden sich gegen das Raustragenlassen – ist die Aktion an der Berliner Freien Universität in Dahlem Teil einer Aufbruchstimmung: Neue Initiativen sind entstanden, in denen sich Studierende, Mittelbau und Verwaltung zusammentun, um Grundsätzliches an den Arbeitsbedingungen aller zu ändern, was spätestens nach der Bolognareform deutlicher zutage trat. Und das grob vereinfacht überschrieben werden kann mit: Ökonomisierung der Lehre, vulgo: „Lernfabrik“.
„Wir kommen jetzt jeden Tag”, sagt einer der Mitorganisatoren der FU-Besetzung am Telefon. „Es gärte schon lange, aber wir entschieden spontan, zum Semesterauftakt ein Zeichen zu setzen.” Wochenlang zu besetzen sei gar nicht das Ziel gewesen. „Wir wollen eine Bewegung anstoßen, die das Selbstverständnis der Studierenden verändert.” Sie haben vor dem Hörsaal ein Café eingerichtet, kommende Woche soll es eine neue Versammlung geben, man hofft, dass Studierende sich politisieren lassen, Forderungen entwickeln. „Die ISW-Besetzung”, schiebt der Student, der namenlos für die Gruppe spricht, noch hinterher, „hat gezeigt, wie wichtig es ist, hochschulpolitisch aktiv zu werden.”
Es war jene „ISW-Besetzung“ in der sich der allgemein wachsende Unmut an den Hochschulen zuletzt sichtbar manifestierte: fünf Wochen Streik Anfang des Jahres am Berliner Institut für Sozialwissenschaften ISW an der Humboldt-Universität in Mitte. Zuerst war es nur ein spontaner Protest gegen die – inzwischen zurückgenommene – Kündigung des Soziologen Andrej Holm, doch die Agenda ging schnell weit über die Personaldebatte hinaus. „Es geht uns um die Demokratisierung der Hochschule, um Uni von unten“, sagten die drei, die für die Gruppe sprachen.
Er sei sehr skeptisch, wie lange dieser Impuls anhalte, unkte Peter Grottian im Februar noch. Grottian ist so etwas wie der weise Haudegen des Aktivismus, Professor am Berliner Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft und spezialisiert auf neue soziale Bewegungen. „Es ist ein zartes Blümchen, das man ernst nehmen muss, aber man darf es nicht überschätzen.“ Er hatte die ISW-Besetzer besucht und ihnen geraten, besser gleich das Rektorat zu besetzen. Er wertet den Protest als erfreuliches Zeichen. Dafür, dass sich was tut.
Grottians Skepsis liegt an der üblichen geringen Halbwertszeit von derlei Aktivismus: Protest versiegt. Oder wie es Mandy Gratz vom Vorstand des Freien Zusammenschlusses von Studierendenschaften FZS auf den Punkt bringt: „Der Kern von Protest an Hochschulen ist, dass er nicht nachhaltig ist.“ Doch genau das scheint sich derzeit zu ändern.
Auf den ersten Blick wirkt die ISW-Besetzung wie ein Sonderfall. Zum einen wegen des Professors Andrej Holm: Der Soziologe steht für eine kritische Lehre rund um Stadtpolitik – und wirkt seit langem auch weit in die Stadt und ihre Mietpolitik hinein. Und zum anderen daran, dass das Institut thematisch auf Sozial- und Stadtpolitik, Arbeitssoziologie oder Diversität ausgerichtet ist und damit auf das, was die Besetzenden als Teil der Uni und Berlins umtreibt: „Wir tragen das, was wir über Gesellschaftspolitik lernen, nach außen“, sagten die drei im Februar in einem Seminarraum im Keller des Instituts über ihre Perspektive, die über die eigenen Befindlichkeiten hinausreicht.
Was sie mit den Netzwerken eint, die in verschiedenen Hochschulen wachsen, wie auch mit der Konferenz „Lernfabriken meutern“ Ende März in Frankfurt: Sie setzen auf die gleichen zwei Punkte. Sie wollen nicht nur einmalig zünden, sondern bleiben. Und sie verbünden sich hierarchieübergreifend, wollen über die Campusgrenzen hinaus wirken.
Da wäre zum einen die Hochschulgewerkschaft „Unterbau“ an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main: „Wir wollen eine tiefgreifende, andauernde Form von Politisierung”, erklärt Mitgründerin Conny Pretz. Die Gewerkschaft will für Mensamitarbeiter, Verwaltungspersonal, Hiwis und Lehrkräfte gleichermaßen da sein. Es gehe ihnen darum, dass Hochschulbeschäftigte sich „vor Ort organisieren, Wissen aneignen, eigene Forderungen aufstellen und diese quer durch die verschiedenen Statusgruppen gemeinsam umsetzen können.”
Mit diesem Ansatz formieren sich nun auch erstmals wissenschaftlichen Mitarbeiter: „Uns geht es darum, dass sich die Arbeitnehmer an Hochschulen endlich organisieren und kampagnenfähig werden“, sagt Mathias Kuhnt von der Mittelbau-Initiative der Uni Dresden. „Wir wollen in der Lage sein zu streiken.“ Zusammen mit Vertretern von rund 40 anderen Hochschulen gründete sich im Januar das bundesweite „Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft“, um gegen die prekären Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
Kritik an der Ökonomisierung des Wissens formierte sich in den Wirtschaftswissenschaften bereits 2007: : „Wir wollen Hierarchien hinterfragen – nicht nur wissenschaftlich, sondern auch jene im akademischen Betrieb selbst“, sagt Daniel Obst vom bundesweiten Verein „Netzwerk plurale Ökonomik“, der nicht nur neoliberalen Stoff im Curriculum sehen will. Die Mitglieder, darunter auch Dozenten, organisieren eigene Ringvorlesungen, alternative Lesegruppen und Umfragen unter Lehrenden zum Thema; auch eine internationale Organisation existiert. „Ich hoffe, dass der ISW-Protest Teil einer größeren Bewegung ist und sich Studis weiter politisieren“, sagt Obst.
Dass die Besetzungswochen hier und da überrascht als scheinbare Repolitisierung der Studierenden wahrgenommen wurde, mag daran liegen, dass Engagement im Zuge der Bologna-Reform schwieriger wurde: Wer auf Bafög angewiesen ist, kann nicht einfach Prüfungen sausen lassen für Streiks oder dergleichen – sonst fliegt er oder sie aus dem System. „Es kann nicht sein, dass man sich an der Uni zwischen Studium und Hochschulpolitik entscheiden muss“, kommentierten die ISW-Besetzenden denn auch frustriert. Auch das erklärt, weshalb vielerorts nun Aktivismus verstetigt wird; es geht um mehr Mitbestimmung, auch für Bereiche, in denen der Asta nicht vordringt.
„Ich wehre mich dagegen, dass Studierende mal entpolitisiert gewesen sein sollen“, sagt FZS-Frau Gratz. „Die Hochschule selbst ist schließlich ein politischer Raum.“ Sie engagiert sich auch beim Protestnetzwerk „Lernfabriken meutern“, dessen Logo sich überall findet, an den Wänden im ISW genauso wie als Button auf Homepages der Initiativen: ein Stift in einer geballten Faust.
Schon beim ISW-Protest verbündeten sich Studierende mit Mittelbau und schrieben in ihrem Manifest: „Wir fordern als ersten Schritt gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse den Berliner Senat und Hochschulleitung auf, Dauerverträge für Daueraufgaben einzurichten!”. Weshalb das sonst eher selten ist, liegt laut Soziologe Peter Grottian im Unwissen: „Gerade junge Studierende, die etwas verändern wollen, haben meist keinen Schimmer von Unistrukturen.” Und der Dresdner Mittelbau-Aktivist Kuhnt ergänzt: „Man trägt ungern nach außen, dass man nur drei oder vier Euro die Stunde verdient. Da hält man lieber am Ethos des Lehrenden fest.“ Aber da alle Partien unter den Folgen zu leiden hätten, „wollen wir jetzt Transparenz und Öffentlichkeit“, so Kuhnt. „Gerade zu den Bundestagswahlen ist es wichtig, Druck aufzubauen.“
Und manchmal bewegt sich dann sogar etwas. So erklärte HU-Präsidentin Sabine Kunst, es sei positiv wahrgenommen worden, wie die ISW-Studierenden sich in die Gestaltung von Hochschule und Lehre mit einbringen wollen. „Wie und in welchem Gremium ist noch zu diskutieren“, so Kunst, aber klar sei: „Es gilt natürlich nicht nur für diesen Fachbereich, sondern für die Gesamtuni, dass Studierende noch mehr Einfluss als bisher auf die Lehre bekommen sollen – wie das strukturell umzusetzen ist, ist in den nächsten Monaten zu erarbeiten.“
Hauptsache, die Motivation hinter ISW-Streik, Mittelbau-Netzwerk, Unterbau-Gewerkschaft und all den anderen wird ernstgenommen, findet FZS-Vorstandsfrau Gratz: „Das sind keine Chaotinnen, die Räume besetzen, sondern Leute mit einem deutlichen Bild davon, wie sie sich einbringen wollen.“
Wie dieses Bild aussieht, deutet der Slogan an, der im ISW hing, angelehnt an den alten Hausbesetzerspruch „Mach kaputt, was Dich kaputtmacht“ von Rio Reiser. Auf den Postern stand: „Bau auf, was Dich aufbaut“. Ob die FU-Protestler das schaffen, müssen sie allerdings erst beweisen.