Kinder sollten sich mit ihrer Schule identifizieren, findet die britische Architektin Prue Chiles. Sie hat sich auf Bildungseinrichtungen spezialisiert und stellt in ihrem neuen Buch Konzepte aus der ganzen Welt vor.
Hier die bei SpOn erschienene Fassung inklusive Bilderstrecke,
und hier das komplette Interview mit Prue Chiles:
Frau Chiles, wenn man heute eine Schule baut oder umbaut: Was ist unverzichtbar?
Prue Chiles: Es gibt nicht die eine Lösung, jede Einrichtung braucht etwas anderes. Wir sprachen etwa mit Lehrern von zwei Schulen hier in Sheffield. Die einen wollten die abgehängten Decken rausreißen, um alles heller zu machen, die andere Schule wollte welche einziehen, der Akustik wegen. Beides valide Gründe. Am Ende zählt nur eines: Eine Schule sollte umwerfend sein. Kinder sollen sich mit ihr identifizieren. Sie sollen sagen: „Ich gehe in die Schule mit dem blauen Ding“ oder so.
Blaues Ding?
Ich meine damit ein klares architektonisches Statement, keinen albernen Schnickschnack. Wir haben zum Beispiel die Toiletten einer Schule in London umgebaut und die Solarpaneele sowie die gesamte Energiekonstruktion freigelegt. So lernen Kinder gleich etwas über Nachhaltigkeit. Ich denke manchmal: Wenn die Toiletten super sind, ergibt sich der Rest von alleine. Denn das ist oft der Ort, an dem Kinder bedroht und gemobbt werden. Für solche Konzepte beziehen wir Schüler und Lehrer mit ein, bringen ihnen Architektur näher. Am liebsten wäre mir, das gäbe es als Fach an Schulen. Wir leben schließlich in gebauter Umgebung.
Stimmt, die räumliche Atmosphäre beeinflusst uns. Wie kann Architektur denn beim Lernen helfen?
Wenn Schüler etwa aus dem Klassenzimmer kommen, sollte es anders, interessant aussehen. So ein Wechsel verbessert die Konzentration, genauso wie rauszugehen, in ein anderes Gebäude. Abwechslung entsteht auch, indem man verschiedene Sinne anspricht, Materialien einsetzt, die sich toll anfühlen. Aber schnelle Abhilfe gibt es nicht.
Auch nicht mit Farbe? In Ihrem Buch zeigen Sie etwa eine knallbunte Schule in Berlin.
Farbe ist ein Anfang. In jener Schule sollten öde Flure zu Räumen werden, die in der Pause wie ein kleiner Bonus wirken. Man kann auch die Landschaft in die Innenräume holen, das verbessert zudem das Raumklima. Solche phantasiereichen Spielorte sind wichtig, gerade für Jüngere. Die Älteren brauchen eher eigene Nischen, als Zeichen, dass wir ihnen vertrauen, etwa eine Ecke mit super Wlan, in der sie ihre Handyakkus aufladen können.
Und wie wichtig ist räumliche Flexibilität? Bildungspolitik ändert sich schließlich – und damit auch die Anforderungen an die Schulen.
Darüber denke ich oft nach. Aber viel wichtiger als extravagante flexible Wände ist es für solche Fälle, einen Ort zu verstehen, zu wissen, wie er gemanagt werden muss. Eine Aula kann für Frühstück, Sport, Mittagessen und Abendveranstaltungen des Viertels genutzt werden. Dafür muss aber jemand das Mobiliar hin- und herräumen. Viele Schulen in afrikanischen Krisengebieten sind von vorneherein so geplant: als temporäre Bauten.
Sie stellen auch Konzepte aus weiteren Erdteilen vor. Was lässt sich an den Ansätzen ablesen?
In Südamerika gibt es etwa Schulen, die zwar billig und aus Beton sind, aber mit ihrem ikonischen Design ein starkes Statement abgeben. Das geht, weil Schulen dort weniger in Politik und Tradition gefangen sind. In Skandinavien setzt man auf viel Holz und Licht, die Gebäude spiegeln Klima, Kultur und Topographie des Landes. Besonders gut gefällt mir eine schwedische Schule, die ihren Eingang in eine Bücherei verwandelt hat: Jeder Schüler muss auf dem Weg zum Klassenzimmer an den Büchern vorbei. Aber weltweit am besten sind sowieso die finnischen.
Wieso?
Weil es eine politische Entscheidung war, Bildung zur Priorität zu erklären, zudem spielt Design dort seit jeher eine große Rolle. In Großbritannien hingegen gilt es nach wie vor als Firlefanz. Dabei ist Architektur ist so elementar! Schüler brauchen eine besondere räumliche Umgebung. Wir sollten uns nicht mehr rechtfertigen, gute Schulen bauen zu wollen.
Was können wir denn von alten Schulbauten lernen?
Dass Schulen das Zentrum einer Kommune, eines Stadtteils sein können – und zwar nicht nur zwischen acht und vier Uhr. Sie sollten ruhig auch abends oder in den Ferien genutzt werden. Das andere ist ein Negativ-Beispiel: Es gab keine Trinkwasserspender. Studien zeigen aber, dass Schulkinder oft dehydriert sind. Wenn wir Schulen umgestalten, wollen wir solche Spender in den Klassenzimmern installieren. Das ist oft ein Kampf, weil Lehrer fürchten, so kommt Unruhe in den Unterricht.
Der Unterricht selbst hat sich auch gewandelt.
Definitiv. Früher gab es nur Frontalunterricht, Schulen waren Institutionen. Heute sind Schulen ein Ort für die Schüler, das Lernen ist individualisierter, es gibt Nischen und Raum-Elemente, so dass jeder seine ideale Lernumgebung hat.
Diese Entwicklung zeigt sich auch in der Berufswelt, man denke an die Gebäude von Google, Facebook und Co. Nähern sich Schulen und Büros architektonisch an?
Absolut. Das ist ein starker Trend, um Schüler so auf Arbeitswelt oder Uni vorzubereiten. Aber es ist ein schmaler Grat. Ich bin kein großer Freund dieser Idee. Kinder sollen auch in der Schule Kinder sein dürfen.
Wie sah denn Ihre Schule damals aus?
Sie war ganz schön runtergerockt. Es war ein viktorianisches Gebäude in Südlondon, eine Art ewiges Provisorium mit vielen Anbauten. Aber ich erinnere mich vor allem an die hohen Decken und Fenster. Und es gab viele Ecken, in denen man sich verstecken, sich mit seinen Kumpels zurückziehen konnte. So etwas ist wichtig. Mit vielen Klassenkameraden von damals bin ich heute noch befreundet. Das beste Zeichen dafür, dass es trotzdem eine gute Schule war.
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DAS BUCH
Prue Chiles (Hrsg.): „Schulen bauen. Leitlinien für Planung und Entwurf.“ Birkhäuser, Juli 2015. 240 Seiten. 69,95 Euro.
ZUR PERSON
Prue Chiles arbeitet als Architektin in Sheffield und lehrt an der Universtität von Newcastle. Mit ihrem Architekturbüro hat sie sich unter anderem auf Bildungseinrichtungen spezialisiert.