Zwei Männer packen ihre zwei Geländewagen bis zum Rand voll und fahren ein halbes Jahr gen Osten. Durch Berge, Steppe, Wüste. Dann schreiben sie ein Buch darüber. So weit so gewöhnlich. Doch was die Stuttgarter Eberhard Holder und Micha Klein von allen anderen unterscheidet: Sie sind Produktdesigner. Und somit haben sie auch keinen Normalo-Reisebericht geschrieben, sondern all die Objekte vorgestellt, die sie unterwegs benutzen. Und teils seit Jahrzehnten in Gebrauch haben. Alle übersichtlich gezeichnet und bewertet.
Für Spiegel Online habe ich die beiden interviewt – siehe hier.
Und hier das ganze Interview, der Vollständigkeit halber:
Herr Holder, Sie tragen Strohhut und Khakihose, wie ich hier in unserer Video-Schalte sehe. Wollen Sie gleich wieder auf Reisen gehen?
Eberhard Holder: Das könnte ich, ich bin immer so gekleidet. Auch das Auto steht vor der Tür. Wenn Sie hier wären, könnten wir sofort los.
Vielleicht nächstes Mal. Und was ist in den Westentaschen?
Holder: Geld, mein Telefon, Messer, Pfeife. Normalerweise auch ein kleines Fernglas, es ist fantastisch, um sich in Kirchen oder Museen die Dinge nah heranzuholen.
Sie und Micha Klein sind Produktdesigner, sind ein halbes Jahr gen Asien gefahren und haben nun ein Buch über ihre „Reisebegleiter“ veröffentlicht. Aber offenbar haben Sie den Reisemodus in den Alltag integriert, oder?
Holder: Es entspricht unserer Haltung. Wir nutzen alles hier wie dort, egal ob Wagen, Weste – oder Anzug mit Krawatte. In Teheran war ich einmal bei einer Familie eingeladen. Intuitiv habe ich meinen Anzug angezogen – zum Glück! Die ganze Familie war in Abendgarderobe.
Micha Klein: Auf Reisen habe ich nur beschränkte Mittel zur Verfügung, und so verhalte ich mich auch im Alltag: Wir reparieren Dinge, statt sie wegzuwerfen.
Holder: Dazu kommt, wie wir die Welt wahrnehmen. Wir bezeichnen uns als serendipities: als Leute, die durch Zufall etwas finden, darüber staunen und nachdenken. Und es dokumentieren: Ich zeichne, Micha fotografiert. Die Erkenntnisse, mit denen wir zurückkommen, motivieren uns wieder zum Reisen.
Was muss ein Ding denn können, damit es als Reisebegleiter für Sie taugt?
Holder: Materialechtheit ist wichtig, so geht es auch bei extremem Gebrauch nicht kaputt. Unser Kocher ist aus Aluminium, mit dem können Sie auch bei Minusgraden bei heftigem Wind kochen. Und ein Becher aus Edelstahl hält ein Leben lang. Unser Reiseequipment hat sich durch Gebrauch bewährt, wir müssen es daher nicht jedes Mal neu zusammenstellen. So können Sie sich auf die Reise konzentrieren.
Klein: Und alle Produkte funktionieren ohne Gebrauchsanleitung in anderen Kulturen – wichtig, wenn sie repariert werden müssen. Vieles mag in der Anschaffung etwas teurer sein, aber dafür benutzen wir es ewig.
Holder: So bewegen wir uns abseits von Moden. Meinen Koffer habe ich vor über 40 Jahren noch als Student gekauft, der war für mich damals sehr teuer. Aber er macht alles mit: Als die Schlösser kaputtgingen, hat ein Handwerker auf dem Markt in Marrakesch zwei Schnallen drangeschraubt und er war wieder voll funktionsfähig. Inzwischen hat er viele Dellen.
Bei Reiseutensilien ersetzt also Patina die Ästhetik?
Klein: Um formale Ästhetik, die Sie meinen, geht es uns nicht. Aber die Gebrauchsästhetik, der all unsere Reisebegleiter folgen, ist zentral: Ihr Zweck ist, uns das Leben leichter zu machen, vom Auto bis zum Koffer.
Und die Schrammen und Reparaturen sind wie Reisesouvenirs?
Klein: Da wir die Gegenstände alle im Alltag benutzen – Euroboxen wie Campingstühle – kommen uns Reiseerlebnisse natürlich ab und an ins Gedächtnis. Etwa als uns der Auspuff auf 3000 Meter Höhe gerissen ist und dort oben geschweißt wurde. Und hier der Mechaniker beim TÜV-Besuch sagt: Das ist solide gemacht.
Mit all Ihrer Reiseerfahrung: Welche Dinge wären denn im Design besonders verbesserungswürdig?
Holder: Ich stehe auf Kriegsfuß mit Reißverschlüssen, speziell am Schlafsack: Weil sich die Kältebrücke dauernd verklemmt, geht er schnell kaputt und Sie erfrieren fast. Ich denke dann immer: Herkules, dafür müsste es doch eine ultimative Lösung geben!
Klein: Ich habe bis heute noch kein Produkt gefunden, das als gute Duschmöglichkeit taugt. Abgesehen vom Kanister mit Hahn.
Gibt es auch Dinge, die unterschätzt sind in ihrer Vielseitigkeit?
Klein: Ein gutes Messer ist elementar. Hier denkt man, man braucht für jede Situation ein eigenes – dabei merkt man in anderen Kulturen, dass man ein gutes Messer für alles verwenden kann: zum Kochen, zum Schnitzen, zum Spalten.
Holder: Ganz klar der sogenannte Engländer, ein Schraubenschlüssel. Den habe ich seit meiner ersten Reise mit dem VW-Käfer dabei. Sie können sogar Würstchen vorne reinklemmen und grillen. Dazu kommen persönliche Vorlieben: Ich etwa habe immer einen Picknickkorb dabei …
Als ich den auf Ihrer Liste entdeckte, habe ich mich gewundert …
Holder: Aber warum? Er bietet ein Ordnungssystem. Und ich kann ihn einfach aus dem Auto nehmen, 100 Meter weiter gehen und dort zu Mittag essen. Natürlich mit Tischdecke. Jeder Gestalter weiß: Eine Fläche, die ich irgendwo hinlege, definiert einen Raum.
Der Koffer, der Kocher, der Korb: Sind Produkte, die früher entworfen wurden, fürs Reisen besser geeignet?
Klein: Nicht unbedingt: Wer verstanden hat, wozu eine Stirnleuchte alles gut ist, wird nicht mehr ohne auf Reisen gehen. Man hat Licht und die Hände frei, ob beim Kochen, um abends im Bett zu lesen oder nachts auf die Toilette zu gehen.
Holder: Wenn wir aber inmitten von Nichts unterwegs sind, sind statt des gleißenden Lichts einer Batterie ein, zwei Petroleumlampen besser: Sie geben mit ihrem Flackern einen romantischen Touch, sind hell genug zum Zeichnen – und schon allein, dass sie ständig „Schhhhhhh“ machen, schafft Atmosphäre.
Wie kam es, dass Sie beschlossen, zusammen zu reisen?
Holder: Sie sehen ja den Altersunterschied: Als Micha seine Aufnahmeprüfung für die Hochschule bei mir machte, stellten wir fest, dass wir beide die gleiche Strecke durch die Sahara nach Mauretanien gefahren waren. Über die Jahre entwickelte sich eine Freundschaft. Irgendwann sagte Micha, er würde gerne einmal die Wüste Gobi durchqueren, ich wiederum wollte zum Ursprung der Tulpe in Zentralasien. Mit Blick auf die Karte merkten wir, dass das fast nebeneinanderliegt. 2015 waren wir dann zusammen ein halbes Jahr unterwegs: mit zwei Geländewagen, jeder ist für sich gefahren.
Was macht das Reisen mit dem Geländewagen so besonders?
Klein: Er bringt uns an Orte, die wir sonst nicht erreichen würden. Dazu kommt die Freude am Fahren, der Nervenkitzel, wenn man zum Beispiel ausgetrocknete Flussläufe quert. Außerdem sind wir wetterunabhängig und können immer bleiben, wo es uns gefällt.
Holder: Ich fahre seit diesen Wagen seit 30 Jahren. Das spartanische Leben ist für mich elementar: Man lebt und kocht im Freien, es gibt keine Heizung, keine Klimaanlage. Wenn wir einen Tag mit diesen Klapperkisten gefahren sind, erleben wir am Stellplatz die Stille besonders intensiv: Wir sitzen bestenfalls in einer Szenerie wie eine Postkarte, trinken und rauchen, unterhalten uns und sehen zusammen Skizzen und Fotos an. Das ist das Schönste am Reisen.