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Essay: „Und jetzt: das Wetter“ – (Spiegel Online)

Und auf einmal hebt am letzten Küstenzipfel ein Pfeifen und Sausen an, als feuchte Luft senkrecht nach oben schießt. Derweil donnert eine Wand aus Nass von der Seite über die rostbraunen Felsen heran, durchpflügt Stahlkrallen, die in den Himmel ragen. Am Ende der Bucht von San Sebastián, direkt am Atlantik: Löcher im Boden, Skulpturen auf Steinbrocken mitten im tosenden Meer – eine Imitation der Natur. Sie zitieren die Felstrümmer, die hier vom brutalen Ozean zerklüftet im Wasser liegen, die Küste voller Blowholes, aus denen Geysir-haft wassergetränkte Luft emporjagt, sobald eine Welle ans Ufer knallt.

Der spanische Künstler Eduardo Chillida hat dieses Skulpturenensemble geschaffen, „Peine del viento“, lauter Windkämme (Sie werden sie wiedererkennen: Zwei dieser Serie stehen unter anderem Namen im Hof des Bundeskanzleramts). Wind ist von Anbeginn immer nur das, was die Lücken zwischen den Elementen füllt. Chillida lenkt den Wind. Und macht damit ein kleines Wetter.

Lassen Sie uns also übers Wetter reden.

Machen ja sowieso alle. Denn der inhaltsleere Smalltalk über Heiter-bis-Wolkiges hat seine Unschuld längst verloren. Es ist heißer-als-heiß, hier trocken, dort schwül, woanders schon Steppe. Jeden Morgen Neues über Hitzerekorde, abends eröffnen die Tagesthemen mit siebeneinhalb Minuten Dürrereport aus Maisfeldern, die Hamburger waren schon im Mai ratlos wegen drei Tagen Sonne hintereinander und posteten fassungslos Screenshots ihrer Wetter-Apps.

Es ist erst gut 150 Jahre her, da galt Wettervorhersage als reinster Hokuspokus. In die Zukunft schauen? Ja, haha, klar, guter Witz und Blasphemie obendrein. Die englischen Abgeordneten lachten jedenfalls lauthals, als ein Parlamentarier 1854 der Meinung war, man könne sicher bald wissen, wie das Wetter einen Tag später sein werde. Sechs Jahre danach war’s kein Spöks mehr.

Hier und heute dagegen wissen wir schon mittags mit Blick auf den Regenradar, dass wir nachts im Zelt bei Gewitterregen festhängen, dass die aktuelle Dürre voraussichtlich bis September anhalten wird – und dass im Jahr 2050 140 Millionen Menschen auf der Flucht sein werden, weil ihre Kommunen dann unterm Meeresspiegel liegen, von Sturmfluten oder Dürren verwüstet sind. Die Pazifikrepublik Kiribati hat sicherheitshalber Land auf den höher gelegenen Fidschiinseln gekauft. Und Neuseelands Regierung überlegt, Visa für Klimaflüchtlinge einzuführen.

Hier stellen wir derweil fest, dass die Pommes kürzer werden, weil die Ernte so schlecht war, und dass Fleisch billiger wird, weil die Rinder wegen Futtermangel früher geschlachtet werden. Der Horrorfilm „Hell“ aus dem Jahr 2011 über Trockendeutschland in der Klima-Apokalypse wirkt auf einmal, nun ja, geradezu hellsichtig.

Es ist also höchste Zeit, dass wir das Wetter ernst nehmen. Es wahrnehmen, statt Radar-Apps zu checken. Und uns unserer Urheberschaft bewusst sind: Denn es ist unser Wetter. Wortwörtlich.

Es gab in der Renaissance einmal einen Wettstreit, den „paragone“: Vor allem Bildhauer und Maler debattierten, welche Kunstgattung nun also wirklich, ernsthaft, die Natur am trefflichsten abbilde. Eine Fraktion argumentierte, auch die „Natura“ selbst sei eine Künstlerin – und zwar die erste überhaupt. Nun ist es als habe sich die Urheberschaft umgedreht: Die Natur gestaltet sich nicht mehr selbst. Wir gestalten sie. Egal ob in San Sebastián im Kleinen oder erdumspannend: hier im Anthropozän, dem Zeitalter der von Menschenhand gemachten Natur. (Auch wenn der eine oder andere Präsident das leugnet).

Und wir gestalten sie weiter. Über Sprache. Wir greifen schon ein, indem wir längst nicht mehr übers Wetter reden, wenn wir übers Wetter reden, sondern über Klima. „Klimawandel“ wie „Klimakrise“ verschieben Aufmerksamkeit. Und damit Handeln. „Framing“, könnte man sagen, ist ideal um unseren Klimaverstand zu schärfen.

Wie das geht, haben uns all die vorgemacht, die Wind und Wolken beobachteten, als das, was da oben geschieht, noch unvorhersehbar schien. In der Kunst, in den Verlagen ist die Akzentverschiebung längst sichtbar, sie liefern uns Vorlagen: Überall wettert es.

Da ist der neue Band „Klimabilder“ von Birgit Schneider, in dem sie erklärt, wieso die “Erforschung des Klimas […] ihren Ausgangspunkt in Bildern [nahm]”. ]“ – und wie politisch aufgeladen deren visuelle Kraft ist. Erst Recht, wenn – vorgemacht von Potsdamer Klimaforschern – von Kurven- auf Kreisschaubilder umgestellt wird. Und so aus dem unendlichen Lauf einer Linie eine Uhr mit 12-Uhr-Marke wird.

Oder „Das Wetter-Experiment“ von Peter Moore, der detailversessen die Rivalenkämpfe nacherzählt, in der sich die Wetterforscher in ihren Pioniertagen weltweit verstrickten, bis aus lauter Einzelkämpfern ein Netzwerk wurde und Meteorologie erst möglich. Klaus Reicherts „Wolkendienst“ dröselt unter anderem die Wolken- und Windmanie von Malern wie William Turner und John Constable auf, dessen Himmelsbilder eher Forschungsbeiträge waren, um Naturgesetze zu überprüfen, lange vor der ersten Vorhersage. Der große Romancier Amitav Ghosh hat gar das Genre gewechselt und mit „Die große Verblendung“ eines der hitzigsten Klimakrisenbücher der Stunde vorgelegt: Er plädiert mit Verve für mehr Verantwortung der Autoren – und mehr realistische Klimawandelaspekte in Romanen. Seine Sorge darüber, dass sie das Thema entweder aussparten oder als Science-Fiction zeigten, überzeugt sofort.

Da ist der Bildband „Landscapes after Ruskin“ über den Klimawandel im Spiegel zeitgenössischer Kunst. Oder etwa das Stück „Das Wetter“, das im Mai im Hamburger Thalia-Theater Uraufführung hatte, mit einem Wettervorhersage-TV-Studio auf der Bühne. „Alle reden über das Wetter. Wir machen es”, so der Slogan.

Genau deswegen müssen wir den Blick nach oben richten, staunen, drüber reden. Jenseits von Smalltalk-Dunst. Constable, der Landschaftsmaler der englischen Romantik, hat es vorgelebt: Der Sohn eines Windmüllers bildete in seinen Gemälden die Wolkenstreifen und -fetzen, die Sonnenflecken und Windböen ab, wie sie waren, notierte Datum, Ort, Witterung. „Skying“, nannte er es, „himmeln“.

Der Himmel sei „Wetter und Zeichen zugleich“, schreibt Klaus Reichert in „Wolkendienst“. Wolken, das ist formlose Masse, amorph, endlos im Vergehen und Entstehen begriffen. Taugt ideal als Sinnbild für den Klimawandel. Schauen Sie also mal raus. Da, die Wolke, haben Sie sie gesehen?

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Die Kurzfassung online: hier.

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DIE BÜCHER

Amitav Ghosh: „Die große Verblendung. Der Klimawandel als das Undenkbare“, aus dem Englischen von Yvonne Badal, Blessing 2017, 256 Seiten, 22,99 Euro.
Hall Art Foundation (Hrsg.): „Landscapes After Ruskin. Redefining the Sublime“, Hirmer 2018, 160 Seiten, 39,90 Euro.
Peter Moore: „Das Wetter-Experiment. Von Himmelsbeobachern und den Pionieren der Meteorologie“, aus dem Englischen von Michael Hein, Mare 2016, 560 Seiten, 26 Euro.
Klaus Reichert: „Wolkendienst. Figuren des Flüchtigen“, S. Fischer 2016, 248 Seiten, 26 Euro.
Birgit Schneider: „Klimabilder. Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel“, Matthes und Seitz 2018, 300 Seiten, 30 Euro.